Schönheit und Grenzen der clasp-weaving-Technik

Mein neues Projekt im Webstuhl sollte, wie alle anderen Projekte auch, einen gebrauchsfähigen Stoff ergeben. Dieses Mal plante ich, Stoffe für Einkaufstaschen zu weben. Solche mit langen Henkeln, die es erlauben, die Tasche über der Schulter zu tragen. Und groß genug sollten sie sein, dass vielerlei Dinge, auch größere, darin Platz finden würden.

Für die Ausführung der Stoffe der Taschen waren mir zwei Aspekte wichtig: Die Bindung sollte ein Atlas sein. Und ich wollte die clasp-weaving-Technik, die ich bisher nur theoretisch kannte, nun auch praktisch kennenlernen und ausprobieren.

Mit dieser Technik machte ich zum ersten Mal Bekanntschaft durch das Buch "The Weaver's Idea Book" von Jane Patrick, einer passionierten Weberin aus den USA. Es gibt keine einheitliche deutsche Bezeichnung dafür - die Übersetzung "verschränkter" oder "umschlungener Schussfaden" trifft es wohl am ehesten.
Die Bezeichnung deutet schon auf die Vorgehensweise hin: im offenen Fach werden zwei Schüsse verschiedener Farben miteinander verschränkt, wodurch im Spiel der beiden Farben verschiedene Formen und Figuren gestaltet werden können. Die Verschränkung der beiden Farben kann bei jedem neuen Schusseintrag an einer anderen Stelle in der Kette platziert werden. Dadurch ergeben sich viele Möglichkeiten der Gestaltung: Man kann ganz frei schmale und breite Streifen weben, wobei man den Ort der Verschränkung nur seiner Eingebung überlässt. Oder man lässt die beiden Schussfarben immer an vorher bestimmten Stellen aufeinander treffen, um Dreiecke, Blöcke oder solche Konturen zu weben, die zum Beispiel an eine Großstadtsilhouette erinnern, wenn man das Gewebe dann um 90° dreht.

Aber es sind auch Figuren möglich, die sich aus den Schattierungen zwischen den beiden Farben ergeben. Genau darauf lag mein Fokus.

Schattierungen entstehen, indem schwarz und weiß abwechselnd am rechten und am linken Rand der Figur verschränkt werden. Die sich dadurch ergebenden schmalen Streifen wirken aus größerer Ferne betrachtet, als wären sie grau. Die Breite der Streifen kann variiert werden, indem die beiden Farben zwei-, drei- oder noch mehrmals an derselben Stelle verschränkt werden.

Herauszufinden, welche Figuren sich auf diese Weise weben lassen, war für mich sehr reizvoll. Die Farben standen fest: die für meine Werkstatt typischen Farben schwarz und weiß. Nach einigem Überlegen und Ausprobieren entdeckte ich, dass es viele Formvarianten gibt, aber nicht unendlich viele. Die Begrenzung liegt darin, dass nur solche Formen gewebt werden können, die sozusagen übereinander liegen. Nebeneinanderliegende Formen, wie z. B. ein Baum mit Ästen, können mit nur zwei Spulen nicht gewebt werden, da es ja immer nur eine Verschränkung gibt. Gerade diese Einschränkung forderte meine Phantasie heraus und war für mich Quelle der Inspiration, um einfache aber schöne und ansprechende Figuren zu weben.

Die ersten Formen webte ich ohne gezeichnete Vorlage. Das war sowohl einfach als auch schwierig. Ich brauchte zwar keine Vorlage zu beachten, musste aber immer das Gesamtbild der Figuren vor Augen behalten, um in den richtigen Proportionen zu bleiben. Im Webstuhl sieht man indes immer nur einen kleinen Abschnitt des Gewebes.

Um die weiteren Figuren zu weben habe ich mehrere Methoden ausprobiert: Ich habe sie mit Bleistift auf die Kettfäden gezeichnet. Das funktionierte ganz gut, eignete sich aber nur für kleine, einzeln stehende Figuren.

Für großflächige Formen zeichnete ich mir Vorlagen in Originalgröße auf Papier, die ich dann unter der Kette feststeckte. Da ich während des Webens einen Breithalter verwenden musste, um ein zu starkes Einziehen der Webkanten zu vermeiden, bestand bei jedem Vorlassen der Kette und Versetzen des Breithalters die Gefahr, dass sich Vorlage und Gewebe gegeneinander verschieben, wodurch die Kanten der Formen nicht mehr übereinstimmten. Am besten hat sich bewährt, höchstens 2 - 2,5 cm zu weben, dann die Stecknadeln für die Vorlage sowie den Breithalter zu versetzen und die Kette vorzulassen, während der Breithalter im Gewebe verbleibt. *

Die clasp-weaving-Technik wird eigentlich eingesetzt, um einen einfachen leinwandbindigen Stoff farblich interessant zu gestalten. Wie oben schon erwähnt, hatte ich mich aber für eine Atlasbindung entschieden, und zwar für einen 6-schäftigen Kreuzatlas. Diese Kombination (aus clasp weaving und Atlasbindung) verleiht dem Stoff ein interessantes Aussehen, sowohl auf der Vorder- als auch auf der Rückseite. Bei der Atlasbindung lassen sich die Schussfäden so dicht zusammenschieben, dass von der Kette fast nichts mehr zu sehen ist. Dadurch ergeben sich auf der Vorderseite beinahe reine Farbflächen von schwarz und weiß und zwischen ihnen die schattierten Flächen, deren farbliche Wirkung durch die Farbe der Kette kaum gestört wird. Auch die Rückseite ist beachtenswert, denn je nach dem, wie breit ich die Streifen in den Figuren gewebt habe, entstanden hier verschiedene Musterbilder.

Die hohe Schussfadendichte dieser Bindung verleiht dem Stoff eine gute Festigkeit und Stabilität, was sich bestens eignet, um daraus strapazierfähige Taschen zu nähen.

Zum Schluss noch einige technische Angaben: Das Material ist Baumwolle NeB 16/2 sowohl für die Kette als auch für den Schuss. Ich habe die Kettfäden gefacht d. h. doppelt in Litze und Riet eingezogen, da ja der Schuss aufgrund der Mustertechnik ebenfalls doppelt eingetragen wird. Die Kettfadendichte betrug 8F/cm.

 

* Nachbemerkung: Nachdem ich den Artikel geschrieben und veröffentlicht hatte, schrieb mir eine Weberkollegin aus den USA, Deborah Silver, dass sie die Vorlagen nicht auf Papier, sondern auf Stoff zeichnet. Im Gegensatz zum steifen Papier hat der Stoff ähnliche Eigenschaften wie das Gewebe, das sich gerade im Webstuhl befindet und eignet sich somit wesentlich besser für eine Vorlage. Die Skizze, die sie mir freundlicherweise zum Veröffentlichen überlassen hat, zeigt, dass der Stoff über eine Leiste läuft und auf eine weitere Leiste, die als Gewicht dient, aufgewickelt ist. Somit wirft der Stoff keine Falten. Zur Orientierung, ob sich die Vorlage immer in der richtigen Position befindet, zeichnet man eine Mittellinie auf den Stoff und kennzeichnet gleichzeitig das mittlere Riet im Webblatt.

Literatur: Jane Patrick: "The Weaver's Idea Book - creative cloth on a rigid heddle loom"
Deborah Silver: https://www.deborahsilverstudio.com

Bilder: eigene Aufnahmen, Deborah Silver